Das bewegte Leben der Herzogin von Berry

Sie war die Mutter des letzten rechtmäßigen Königs von Frankreich. Ihr Leben war luxuriös, kämpferisch und skandalös. Vor 150 Jahren starb Marie Caroline in ihrem südsteirischen Exil auf Schloss Brunnsee.

„Im Sommer schüttete man im Schlosspark einen Zuckerberg auf, um Schlittenfahren zu können“, heißt es im Volksmund. In der Tat sorgte die Herzogin mit ihrem Erscheinen in der damals 5000 Seelen zählenden Herrschaft Brunnsee nahe Mureck für großes Aufsehen. Mit ihr zogen adeliger Glanz, ein Hauch von Exotik und ein Stück Weltgeschichte in die ländliche Idylle ein. Doch wie kam es dazu, dass die Bourbonen-Prinzessin gerade hier im Exil landete? Die Biografin Hildegard Kremers berichtet dazu folgendes: Marie Caroline wurde am 5. November 1798 als älteste Tochter von König Franz I. von Neapel geboren. 1816 heiratete sie den französischen Thronfolger Charles-Ferdinand D’Artois, Herzog von Berry. Die Ehe war jedoch nur von kurzer Dauer. Am 13. Februar 1820 erdolchte ein Attentäter den Herzog nach einem Opernbesuch auf offener Straße. Sieben Monate später gebar Marie Caroline einen Sohn. Henri war das vierte und einzig überlebende männliche Kind aus dieser Ehe. Damit zugleich der rechtmäßige Thronfolger von Frankreich. Seine Geburt wurde als großes Wunder gefeiert. Allein in Paris sollen 200.000 Flaschen Bordeaux aus diesem Anlass getrunken worden sein. Doch das Schicksal war Marie Caroline und ihrem Spross nicht hold. 1830 stürzte das Bürgertum bei der Julirevolution die Herrschaft der Bourbonen. Die Herzogin musste mit ihren Kindern aus dem Land fliehen. In England fasste sie den kühnen Plan, den französischen Thron für ihren Sohn zurückzuerobern. Unter falscher Identität reiste sie mit ihren Verbündeten quer durch Frankreich und rief zum bewaffneten Widerstand gegen den Bürgerkönig Louis-Phillipe I. auf. Obwohl sie viele Anhänger hatte und rund 20.000 Kämpfer mobilisieren konnte, scheiterte das Vorhaben. 1832 wurde die Herzogin von Berry verraten und gefangen genommen. Man brachte sie in die Festung von Blaye. 3000 Soldaten und 80 Kanonen wurden zur Bewachung der Staatsfeindin aufgestellt. Doch selbst hier sorgte sie für einen handfesten Skandal. Die Herzogin, seit 12 Jahren verwitwet, erwarte ein Kind in der Gefangenschaft, hieß es. Da sie sich zwar zu einer geheimen Ehe bekannte, den Namen des Kindsvaters aber nicht preisgeben wollte, nötigte man sie zu einem entwürdigenden Akt. Unter den Augen von zwölf männlichen Zeugen musste sie im Mai 1833 ihre Tochter Anna Rosalia zur Welt bringen. Erst danach verlautbarte sie, dass sie mit Graf Ettore Lucchesi Palli aus Palermo liiert war. Damit war ihr politisches und moralisches Ansehen zerstört. Da sie für ihre Feinde keine Bedrohung mehr darstellte, ließ man sie frei. Ihre eigene französische Königsfamilie verwehrte ihr die Rückkehr und verweigerte ihr vorerst den Kontakt zu ihren Kindern aus erster Ehe. So musste Marie Caroline ins Exil. Dabei ließ man ihr aber nur eine Wahl: die Steiermark. 1835 bezog sie zwei Etagen im Grazer Palais Herberstein, wo sich das Museum für Geschichte befindet. Wie im Joanneum-Museumsblog von Astrid Aschacher und Walter Feldbacher zu lesen ist, gehörte ihre Kunstsammlung zu den größten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bald wurde sie zum Mittelpunkt der Grazer Gesellschaft. In ihren Prunkräumen empfing sie namhafte Gäste. 1837 erwarb sie die Herrschaft Brunnsee, wo sie die Sommermonate verbrachte. Zum Besitz gehörten der Kollaufhof, der Dickschuster oder Manikhof, Gosdorf, Jagerberg, Lichendorf, Oberrakitsch, Priebing, Rabenhof, Ratschendorf, Siebing, Zellnitz und Schloss Weinburg. Es gab eine Edelfischzucht, Karpfenteiche, eine Fasan- und Pfauenzucht sowie eine Jagdfalkenzucht. Die hauseigene Brauerei verkaufte monatlich 108 Fässer Bier an die umliegenden Gasthäuser und Höfe. Den Wein ließ sie aber aus Italien und Frankreich importieren. In der Region erfreute sich die Exilantin großer Beliebtheit. Sie schuf Arbeitsplätze, war großzügig und sozial engagiert. In Oberrakitsch finanzierte sie eine Grundschule. Im Winter ließ sie kleine Mädchen im Schloss unterrichten. Die Schlossapotheke versorgte die Dorfbewohner mit Medizin. Ihr Leibarzt Dr. Ferdinand Pitner behandelte die Bauern unentgeltlich. Das Leben der Herzogin auf Brunnsee war auf ihre Familie konzentriert. Man spielte gerne Theater und feierte große Feste. Fünf Töchter und ein Sohn waren aus ihrer zweiten Ehe hervorgegangen. Es folgten zahlreiche Enkelkinder. 1844 kaufte sie noch den Palazzo Vendramin in Venedig als dritten Wohnsitz. Dort verbrachte sie mit ihrer gesamten Dienerschaft die Wintermonate. Nach dem Tod des Grafen am 1. April 1864 musste sie ihr Vermögen veräußern. Am 16. April 1870 folgte die erblindete Marie Caroline nach einem Schlaganfall ihrem geliebten Gatten nach. Ihre letzte Ruhe fanden beide in der Familiengruft am Friedhof von Mureck.