Eine modische Torheit mit Todesfolge

Der „Humpelrock“ wurde um 1900 modern. Er sorgte für Unfälle, Skandale und sogar für Todesfälle.

„Das Tragen dieses Rockes wird für unmöglich, ja für lebensgefährlich erklärt“, berichtet das Grazer Tagblatt im August des Jahres 1910. Kurz zuvor häuften sich weltweit Presseberichte, die von dramatischen Unfällen berichteten. Frauen stürzten Treppen hinunter, kamen nicht schnell genug über die Straße, oder verletzten sich beim Ein- und Aussteigen von Kutschen, Automobilen, Straßenbahnen und Zügen. Sie brachen sich die Beine und starben danach an Blutvergiftung oder ertranken bei Bootsunfällen weil ihre Kleidung sie bewegungsunfähig machte. Schuld daran war der „Humpelrock“, eine kurzlebige Modeerscheinung, die ausgehend von Amerika nach Europa kam. Der Zeitpunkt ihres Auftretens konnte nicht widersprüchlicher sein. Während man sich beim ersten Weltfrauentag im März 1911 gegen die Unterdrückung erhob, unterwarfen sich andere freiwillig diesem modischen Zwang der körperlichen Unfreiheit. Bei besagtem Kleidungsstück handelte es sich um einen besonders engen, bodenlangen Rock, der seine Trägerinnen mangels Bewegungsfreiheit zum unbeholfenen Humpeln zwang. Französische Modeschöpfer wie Poiret, Lucile, Paquin oder Bakst taten sich mit extravaganten Kreationen hervor, die europaweit begehrt waren. Unter dem Rock trug man das sogenannte „Humpelband“, das ein Zerreißen des Saumes und der Nähte beim Gehen verhindern sollte, indem es nur eine kurze Schrittweite zuließ. Fussfesseln und bis zum Oberschenkel verlängerte Korsetts erfüllten denselben Zweck. Die gefährliche Modeerscheinung wurde auch in höfischen und kirchlichen Kreisen zum Streitfall. Nachdem der Patriarch von Venedig den „Humpelrock“ als Teufelswerk verdammt hatte, entbrannte im nahen Pagnano ein heftiger Streit um eine Lehrerin. Die Schulbehörde musste sich letztlich mit der Frage befassen, ob das Tragen des Kleidungsstücks im Unterricht vertretbar sei oder nicht. Besorgte Väter verlangten nach einer neuen Lehrkraft mit weitem Rock. In London verbot Lord Chamberlain das Tragen des engen Beinkleides am Hof und sorgte damit für einen Aufschrei der modebewussten Gesellschaft. Zuletzt schaltete sich sogar die Wissenschaft in die Debatte ein. Professoren am Londoner Kings College untersuchten mehrere getragene Röcke. Bei den „Humpelröcken“ fanden sie nur wenige Mikroben und Krankheitskeime, im Unterschied zu den damals beliebten Schleppröcken. Die modische Torheit sei zumindest hygienischer, lautete das damalige Fazit. Doch selbst die prominente Camille Clifford, die als „Gibson Girl“ ein neues Frauenbild prägte, lehnte den problematischen Rock nach einer peinlichen Odyssee durch London ab. Derlei Nachrichten füllten die steirischen Tageszeitungen um 1900. Dort wird auch von einem dramatischen Bergunglück im August 1911 am steirischen Scheiblingsstein berichtet. Der junge Aushilfslehrer Ludwig Forbelsky, die Fabrikantentochter Hilda Brunner und die Beamtentochter Minna Furtner stürzten dort bei einer Wanderung in den Tod. Die Damen waren nur mit leichtem Schuhwerk, Humpelrock und Sonnenschirm unterwegs gewesen. Bald danach wurde das lebensgefährliche Kleidungsstück endgültig verbannt. Die Stofffabrikanten beklagten Einbußen, denn mit seinem Verschwinden sank der Textilverbrauch um mehr als die Hälfte. Danach sorgten neue Modeerscheinungen für Kopfzerbrechen. Doch der Trend zu mehr Haut und weniger Stoff war nicht mehr aufzuhalten.