Die Grazer Stimme hinter Marlene Dietrich

Hertha Koch schrieb ein Lied, das die große Bühnenlegende berühmt machte. Über das Vermächtnis der Grazer Texterin, deren Geschichte bis heute vergessen ist.

Im Sommer 1964 stieg Hertha Koch aus Graz zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben in ein Flugzeug. Ihr Ziel war das Royal Lyceum Theater in Edinburgh. Tausende Besucher warteten beim dortigen Musikfestival unter Hochspannung auf den Auftritt der weltberühmten Marlene Dietrich. Auch die Grazerin wartete. Aber nicht vor, sondern hinter der Bühne. „Wir haben einen lieben Gast hier! Frau Hertha Koch hat für mich dieses Lied geschrieben und das heb’ ich jetzt aus der Taufe!“ verkündete Dietrich dem Publikum. Damit war der große Moment gekommen. Zum ersten Mal hörte die Welt das Lied „In den Kasernen“ und seine Autorin, Hertha Koch, stand Seite an Seite mit der großen Diva im Rampenlicht. Heute kennt fast niemand mehr die Geschichte der steirischen Texterin, die mit der legendären Stilikone jahrelang zusammenarbeitete. Peter Kraxner aus Graz stand mit ihr bis zu ihrem Tod in Kontakt. Er bewahrt ihr Vermächtnis für die Nachwelt. Heute, vor genau hundert Jahren, wurde sie als Hertha Brückler in Graz geboren. Dort wuchs sie in einfachen Verhältnissen auf. Im Zweiten Weltkrieg half sie Britischen Soldaten, wie ein Zertifikat der Britischen Armee dokumentiert. 

Über ihre Herkunft und ihre Erlebnisse während der NS-Zeit sprach sie aber zeitlebens kaum. Nach 1945 schuf sich die dreifache Mutter mit dem Schreiben einen persönlichen Rückzugsort. Hier lebte sie in ihrer eigenen Welt, konnte ihre Gedanken und Gefühle verarbeiten. Mit ihrem Mann, Friedrich Koch, betrieb sie ein Kreditbüro. Als ihre Tochter im Alter von sechs Jahren aus dem Fenster stürzte und starb, zog sie sich ganz in ihr künstlerisches Schaffen zurück. Sie begann Chansontexte zu verfassen und so entstand auch das Lied „In den Kasernen“. Hertha Koch schickte den Text an Marlene Dietrich, für die sie zeitlebens eine große Bewunderung hegte. Als diese sich telefonisch bei ihr meldete, glaubte Koch zuerst an einen üblen Scherz. Doch es war der Beginn einer jahrelangen Freundschaft. Hertha schrieb später noch viele weitere Lieder für Marlene. Doch sie kamen zu spät. Die Diva beendete ihre Bühnenkarriere und zog sich zurück. Hertha blieb bei ihrer künstlerischen Arbeit. In Graz organisierte sie Talentwettbewerbe in der „Grünen Spinne“ und im Orpheum. Sie schrieb noch viele Liedertexte – unter anderem für Hildegard Knef, Greta Keller, Erika Pluhar oder Ludwig Hirsch. Nicht alle wurden vertont. Für das Grazer Volkstheater verfasste sie das Bühnenstück „Maler im Haus“, das von Norbert Pawlitzky vertont wurde. Das Film-Drehbuch für „Vinzenz“ von Regisseur Alfred Ninaus geht ebenfalls auf ihr Konto.

Mit der Übernahme des Hans Lang Verlages ruinierte sie sich schließlich wirtschaftlich. Dann kam der Tod ihres Mannes im Jahr 1983. Hertha Koch verarmte und lebte bis zuletzt als Sozialhilfeempfängerin in einer dunklen, feuchten Grazer Kellerwohnung. Ihre Geschichte und ihr Lied „In den Kasernen“ blieben in Österreich weitgehend unbekannt. Auf Drängen des Österreichischen Kameradschaftsbundes sprach der damalige Rundfunk-Intendant Emil Breisach ein Radioverbot für das Lied aus. Zeitlebens glaubte Hertha Koch deshalb auch niemand. Man hielt sie für eine Lügnerin. In den 1990er Jahren drehte der deutsche Fernsehsender Sat1 unter dem Titel „Marlene Dietrich oder das Leben der Hertha Koch“ noch eine Doku über sie. Am 21.9.1994 starb Hertha Koch. Ihre letzte Ruhe fand sie am Evangelischen Stadtfriedhof St. Peter in einem unscheinbaren Urnengrab. Marlene Dietrich behielt all ihre Briefe. Sie befinden sich heute im Berliner Filmmuseum. Alle anderen Zeugnisse dieser außergewöhnlichen Freundschaft -darunter etliche Telefonmitschnitte – bewahrt Peter Kraxner. Ihm ist es zu verdanken, dass ihre Geschichte nicht vergessen wird.