Das steirische Woodstock 1971

Vor 46 Jahren kam es beim legendären Musikfestival in Poppendorf zu denkwürdigen Szenen. Das bevorstehende Schlossfest lässt die Erinnerung daran wieder aufleben.

Pfingsten 1971. Scharen junger Leute ziehen per Auto, Moped, Anhalter oder zu Fuß durch das südoststeirische Gnas Richtung Poppendorf. Ihr Ziel ist das nahegelegene Schloss der Familie Lisafeld. Es lockt ein Musikfestival von noch nicht dagewesener Größenordnung. Zwanzig Bands stehen an zwei Tagen am Programm. Wenige Jahre zuvor hatte die Hippie-Bewegung in den USA mit dem Summer of Love (1967) und Woodstock (1969) ihren Höhepunkt erreicht. Nun sollen auch die Steirer ihr „Mini-Woodstock“ bekommen. Organisator Peter Stangl und seine Unterstützer versetzen die Region mit dem Vorhaben in helle Aufregung. Außerhalb der Städte sind die Hippies noch eine äußerst unheimliche Erscheinung. Damals führten lange Haare noch zu Disziplinarstrafen und ein entblößter männlicher Oberkörper auf der Bühne war ein ernsthafter Skandal. Einwohner, Behörden, Polizei und Kirche sind angesichts der rund 2500 Blumenkinder alarmiert. Im sonst so beschaulichen Vulkanland warnt der Dorfpfarrer in seiner Predigt vor dem drohenden Sittenverfall.

Die Festivalbesucher kümmert das naturgemäß wenig. Sie wollen ihre Bands hören. Hinter Namen wie Magic 69, Music Machine, Mephisto oder Freakout stehen spätere Musikergrößen wie Thomas Spitzer, Günther Timischl, Helmut Röhrling alias Schiffkowitz, Gerd Steinbäcker, Josef Jandrasits, Boris Bukowski, Wilfried Scheutz, Petrus Wippel und viele andere auf der Schlossbühne. 1971 sind die meisten von ihnen gerade mal Mitte zwanzig. Wie man im Buch „Rockmusik in der Steiermark bis 1975“ nachlesen kann, war die Oststeiermark ein musikalisches Epizentrum. Knapp ein Dutzend späterer Austropop-Legenden formierte sich allein im Raum Fürstenfeld.  Neben heimischen Bands treten beim Mini-Woodstock der kanadisch-österreichische Liedermacher Jack Grunsky und Novaks Kapelle auf. Letztere macht ihrem Ruf als „Wildeste Band von Wien“ in Poppendorf alle Ehre. Der Auftritt ist kurz. Ein Wortgefecht führt zum Aufstand. Die Musiker werden von der aufgebrachten Menge in die Flucht geschlagen. Im Rückwärtsgang und mit aufgeschlitzten Reifen touchiert der Tourbus noch sämtliche parkenden Autos. Bandgründer Erwin Novak bleibt als einziger vor Ort.  

Doch das steirische Mini-Woodstock wartet mit noch mehr skurrilen Szenen auf, die einen wagen Vergleich mit dem amerikanischen Vorbild rechtfertigen. Regen und Kälte trüben die Stimmung. Tische und Bänke werden zu Brennholz verarbeitet. Der Hunger treibt vereinzelt zum Mundraub. Am nächsten Tag vermisst man Hühner. Nächtens wird ein Schwein durch den Schlosspark gejagt. Bereits am ersten Tag hat sich die weitläufige Schlosswiese in ein Meer aus Glasscherben verwandelt. Becher gibt es nicht. In ganz Gnas sind keine Zigaretten mehr zu bekommen. Die wenigen Geschäfte in der Umgebung ausverkauft. Staatliche Ordnungshüter durchstreifen auf der Jagd nach psychoaktiven Substanzen und unerlaubten körperlichen Zuneigungsbekundungen das Festgelände. Im dunklen Anzug mit Krawatte sind sie schon von weitem sichtbar. Zahlenmäßig unterlegen treten sie rasch den Rückzug an.

Geschichten dieser Art gäbe es noch viele zu erzählen. Manche fanden damals Eingang in die mediale Berichterstattung, später auch in die Literatur. Autor Wolfgang Pollanz, damals selbst vor Ort, hat einige Szenen in seinem Buch „Die Autos meines Vaters“ verarbeitet. Branko Lenart verdanken wir die wenigen fotografischen Zeitdokumente die es vom steirischen Mini-Woodstock gibt. 

Zusatzinfo:

Nachlesen kann man im Buch „Rockmusik in der Steiermark bis 1975“ von David Reumüller, Robert Lepenik und Andreas Heller. Es enthält auch 2 CDs mit Originalaufnahmen.

Mehr Material gibt es online unter
www.rockarchiv.steiermark.at